Weizenfeld mit Sonnenuntergang

Der Kanon des Neuen Testaments – Teil 5: Das Comma Johanneum


Von Christian


Vergleicht man die Wiedergabe von 1. Johannes 5:7-8 in verschiedenen Bibelübersetzungen, fällt einem ein Unterschied auf:

„Denn es sind drei, die ⟨es⟩ bezeugen: der Geist und das Wasser und das Blut; und die drei sind einstimmig“

„Denn drei sind es, die Zeugnis ablegen im Himmel: der Vater, das Wort und der Heilige Geist, und diese drei sind eins; und drei sind es, die Zeugnis ablegen auf der Erde: der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei stimmen überein.“

„For there are three that testify: the Spirit and the water and the blood; and the three are in agreement.“

„For there are three that bear record in heaven, the Father, the Word, and the Holy Ghost: and these three are one. And there are three that bear witness in earth, the spirit, and the water, and the blood: and these three agree in one.“

(1. Johannes 5:7,8 Elberfelder, Schlachter 2000, New American Standard Bibel, King James Version)

Gewisse Übersetzungen enthalten einen Teil, der eindeutig die Lehre der Trinität stützt. Andere, meist modernere Übersetzungen, enhalten den Text nicht. Warum? Kurz gesagt, handelt es sich hier um einen gefälschten Text (mehr dazu in den Foren-Artikeln). Vermutlich den bekanntesten verfälschten Text.

Dieser Zusatz ist sogar so bekannt, dass er einen eigenen Namen hat: Comma Johanneum, was bedeutet ‚johanneischer Satzabschnitt‘ (siehe z.B. Wikipedia Comma Johanneum)

Der Wikipedia Artikel fasst zusammen: „Dieser Abschnitt fehlt in allen griechischen Handschriften mit Ausnahme weniger später Minuskeln. Viele Kirchenväter verraten überhaupt keine Bekanntschaft mit dem Satz, so z. B. Hieronymus. Andere, wie Augustinus, kannten ihn zwar, betrachteten ihn aber anscheinend als nicht zum Bibeltext gehörig. Die Vulgata in der Version des Hieronymus enthielt das Comma Johanneum nicht.“

Diese Passage scheint ihren Ursprung in einer Glosse in einem lateinischen Manuskript am Ende des 4. Jahrhunderts zu haben. Im 5. Jahrhundert wurde es dann in den Text der alten lateinischen Bibel eingefügt, jedoch nicht in den frühesten Versionen der Vulgata. Doch auch in den Versionen der Vulgata findet es sich dann ab dem 8. Jahrhundert. (Siehe Houghton, H. A. G. (2016). The Latin New Testament: a guide to its early history, texts, and manuscripts. Oxford: Oxford University Press. pp. 178–179; Metzger, Bruce M.; Ehrman, Bart D. (2005). The text of the New Testament: its transmission, corruption, and restoration (4 ed.). New York: Oxford University Press. pp. 146–148, Wikipedia)

Hier ein Beispiel aus dem 9. Jahrhundert:

Codex Sangallensis 63 (9. Jahrhundert), johanneisches Komma am Ende: tre[s] sunt pat[er] & uerbu[m] & sps [=spiritus] scs [=sanctus] & tres unum sunt. Übersetzung: „Drei sind der Vater und das Wort und der Heilige Geist und die drei sind eins“. Der ursprüngliche Codex enthielt das Comma Johanneum (in 1 Johannes 5,7) nicht, sondern wurde von einer späteren Hand am Rand hinzugefügt.[12]

Damit ist der Weg in die katholischen Bibel klar. Aber wie kam er in protestantische Bibeln? „Vom 16. bis zum späten 19. Jahrhundert fand sich das Comma Johanneum in den meisten wichtigen Bibelausgaben; im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwand es zunehmend. Erasmus von Rotterdam hatte das Comma 1516 zunächst nicht in seine Ausgabe des griechischen Neuen Testaments. Erst 1522 fügte er es in die dritte Auflage ein, auch gestützt auf die Minuskel 61 aus dem frühen 16. Jahrhundert.“ (Wikipedia) Warum wurde dieser Teill dann wieder entfernt? „Eine andere zentrale Erkenntnis war, dass die Minuskel 61 eigens gefälscht worden war, um Erasmus zu täuschen.“ (Wikipedia) Heute kennen wir also sogar die Geschichte und Gründe für diese Fälschung.

Erasmus bemerkte zu seinen ersten beiden Auflagen, dass er in den ihm zur Vergügung stehenen griechischen Manuskripten diesen Teil der Verse einfach nicht finden konnte. Und das stimmt. Hier ein Beispiel:

Auszug aus dem Codex Sinaiticus mit 1 Johannes 5,7-9. Es fehlt das johanneische Komma. Der rot gefärbte Text sagt: „Es gibt drei Zeugen, den Geist und das Wasser und das Blut“.

Das hat ihm mächtig viel Ärger und Widerstand von seiten der Kirche und Theologen eingebracht. [Siehe Bart D. Ehrman Misquoting Jesus: The Story Behind Who Changed the Bibel and Why] Deswegen wurde er von Theologen seiner Zeit angegriffen, er würde versuchen, den heiligen Text zu manipulieren, um die Lehre der Trinität zu eliminieren! Schließlich akzeptierte er unter Druck, dass er den Text aufnehmen würden, wenn man ihm ein griechisches Manuskript zeigen würde, der das Comman Johanneium enthält. Und das lieferte man ihm. Und er nahm es in der dritten Auflage mit auf. Nur, dass dieses Manuskript eine Fälschung war, die extra zu diesem Zweck hergestellt worden war.

Damit möchten wir dieses Thema vielleicht schon als erledigt betrachten. Das wäre aber verfrüht, denn im Zusammenhang mit dem Kanon der christlichen Schriften können wir uns zwar glücklich schätzen, dass diese Fälschung wieder eleminiert wurde.

Was war aber mit aufrichtigen Christen in den über 1000 Jahren, in denen dieser Text in ‚ihrer Bibel‘ stand? Darunter befanden sich ja gerade bewundernswerte Christen, welche für die Übersetzung der Bibel persönliche Schwierigkeiten bis zur Ermordung auf sich nahmen.

Es ist eine – wenn auch vielleicht schmerzliche – Tatsache, dass Gott und Jesus als Haupt der Versammlung es zuließen, dass über Jahrhunderte selbst der aufrichtigste Jünger Jesu in 1. Johannes 5:7-8 nur einen verfälschten Text der Bibel zur Verfügung hatte.

Und bedenken wir, dass es hier nicht um eine Nebensächlichkeit geht, sondern die zentrale Lehre über den Vater, Sohn und heiligen Geist. Über diese Fragen wurde in den ersten Jahrhunderten der Christi lange und heftige Diskussionen geführt und ganze Glaubensgemeinschaften exkommuniziert, verfolgt und getötet. Und viele Christen definieren Christentum sogar darüber, dass man die Lehre der Trinität akzeptiert.

Die Behauptung, dass der komplette Text der Bibel von Gott und Jesus so bewahrt wurde, dass alles so wie ursprünglich überliefert wurde, hat sich schon mit diesem einen Beispiel als haltlos erwiesen. Behauptet jemand, dass die Bibel selbst diese Aussage macht, schadet er der Bibel, obwohl es eine menschliche Aussage ist. Der Wunsch ist der Vater des Gedanken.

Selbst wenn diese Behauptung, dass Gott und Jesus dafür gesorgt haben, dass der Text der Bibel uns heute vollständig korrekt zur Verfügung steht, richtig wäre, bliebe weiterhin die Tatsache, dass sie das über viele Jahrhunderte nicht für nötig hielten. Wäre das nicht lieblos gegenüber den Christen in dieser Zeit? Wie man sieht, fällt so eine überzogene Behauptung nicht auf die Person zurück, die sie äußert, sondern wird Gott und Jesus zur Last gelegt. Mehr noch: Es wäre doch von beiden ziemlich gemein, zuzulassen, dass ausgerechnet jemand wie Erasmus von Rotterdam, der aufrichtig versuchte, den überlieferten Text von Fehlern zu bereinigen, damit er in die Muttersprachen auch der einfachen Leute übersetzt werden kann, mit einer gefälschten Minuskel betrogen wurde, um dann erst Jahrhunderte später nach seinem Tod diesen Betrug wieder rückgängig zu machen.

Durch die Funde und Verfügbarkeit immer weiterer alter Manuskripte in Griechisch, Aramäisch, Latein und anderen Sprachen sind noch viele weitere verfälschte Schrifttexte und Passagen zu Tage getreten (siehe diese Foren-Artikel). Dabei zeigt sich, dass die Situation nicht einfach ist. Es ist keine simple ‚wahr oder falsch‘–Entscheidung. Vielmehr geht es darum, wie sehr wir manchen Texten vertrauen können – oder eben auch nicht. Insgesamt ein spannendes Thema, das weitere Teile dieser Serie verdient. Andererseits sind solche Abweichungen ja nicht für die Mehrheit der Texte nachgewiesen. Auf die Unterschiede zwischen den Manuskripten kommen wir aber bald noch zu sprechen.

Dass also Gott und Jesus nicht dafür gesorgt hat, dass der biblische Text ohne Fehler oder Fälschungen erhalten wurde, müssen wir bei unserer Sichtweise des Kanons berücksichtigen. Nicht nur, wenn es um die Verlässlichkeit eines einzelnen Verses geht. Sondern auch, wenn es um unsere Sichtweise bezüglich des Kanons geht – der Bibel, wie wir sie heute haben. Stülpen wir der Bibel keine überzogenen Behauptungen über, welche sie selbst so gar nicht aufstellt.

Mit den richtigen Annahmen hingegen müssen wir auch vor neuen Fakten keine Angst haben. Fakten gefährden dann unser Glaubensgebäude nicht, sondern stärken das Fundament. Schon an diesem einen, wenn auch außerordentlich wichtigen Beispiel können wir nun beweisen, dass auch die Behauptung, dass jeder ‚Satz‘ genau so erhalten wurde, durch die Fakten wiederlegt wird.

„Die Bibel ist Gottes Wort, die heilige Schrift, vollständig von Gott inspiriert und enthält damit exakt das, was Gott wollte. Sie ist uns genau so bis heute erhalten geblieben, wie die Bibel das selbst sagt, jedes Buch, Absatz, Satz, Wort, Komma und Punkt.“

Wir werden in den nächsten beiden Folgen noch weitere Beispiele betrachten. Und warum tun wir uns das an? Wenn wir das Ausmaß der Veränderungen und Unterschiede kennen, dann kennen wir auch das, was gut erhalten ist. Wir erreichen eine fundierte und differenzierte Sicht über die Zuverlässigkeit des Textes.


4 Antworten zu “Der Kanon des Neuen Testaments – Teil 5: Das Comma Johanneum”

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