Der Kanon – Teil 3: Das Comma Johanneum

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Von Christian


Vergleicht man die Wiedergabe von 1. Johannes 5 in verschiedenen Bibelübersetzungen, fällt einem ein Unterschied auf:

„Denn es sind drei, die ⟨es⟩ bezeugen: der Geist und das Wasser und das Blut; und die drei sind einstimmig“
„Denn drei sind es, die Zeugnis ablegen im Himmel: der Vater, das Wort und der Heilige Geist, und diese drei sind eins; und drei sind es, die Zeugnis ablegen auf der Erde: der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei stimmen überein.“
„For there are three that testify: the Spirit and the water and the blood; and the three are in agreement.“
„For there are three that bear record in heaven, the Father, the Word, and the Holy Ghost: and these three are one. And there are three that bear witness in earth, the spirit, and the water, and the blood: and these three agree in one.“

(1. Johannes 5:7,8 Elberfelder, Schlachter 2000, New American Standard Bibel, King James Version)

Gewisse Übersetzungen enthalten einen Teil, der eindeutig die Lehre Trinität stützt. Andere, meist modernere Übersetzungen, enhalten den Text nicht. Warum? Kurz gesagt, handelt es sich hier um einen verfälschten Text (mehr dazu in den Foren-Artikeln). Vermutlich den bekanntesten verfälschten Text.

Dieser Zusatz ist sogar so bekannt, dass er einen eigenen Namen hat: Comma Johanneum, was bedeutet ‘johanneischer Satzabschnitt’ (siehe z.B. Wikipedia Comma Johanneum)

Der Wikipedia Artikel fasst zusammen: „Dieser Abschnitt fehlt in allen griechischen Handschriften mit Ausnahme weniger später Minuskeln. Viele Kirchenväter verraten überhaupt keine Bekanntschaft mit dem Satz, so z. B. Hieronymus. Andere, wie Augustinus, kannten ihn zwar, betrachteten ihn aber anscheinend als nicht zum Bibeltext gehörig. Die Vulgata in der Version des Hieronymus enthielt das Comma Johanneum nicht.“

Warum ist er dann überhaupt noch heute in einigen Bibeln? „Vom 16. bis zum späten 19. Jahrhundert fand sich das Comma Johanneum in den meisten wichtigsten Bibelausgaben; im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwand es zunehmend. Erasmus von Rotterdam hatte das Comma 1516 zunächst nicht in seine Ausgabe des griechischen Neuen Testaments. Erst 1522 fügte er es in die dritte Auflage ein, auch gestützt auf die Minuskel 61 aus dem frühen 16. Jahrhundert.“ (Wikipedia) Warum wurde dieser Teill dann wieder entfernt? „Eine andere zentrale Erkenntnis war, dass die Minuskel 61 eigens gefälscht worden war, um Erasmus zu täuschen.“ (Wikipedia) Heute kennen wir also sogar die Geschichte und Gründe für diese Fälschung.

Damit möchten wir dieses Thema vielleicht schon als erledigt betrachten. Das wäre aber verfrüht, denn im Zusammenhang mit dem Kanon können zwar wir uns glücklich schätzen, dass diese Fälschung eleminiert wurde.

Was war aber mit aufrichtigen Christen in drei Jahrhunderten zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert? Darunter befanden sich ja gerade bewundernswerte Christen, welche für die Übersetzung der Bibel persönliche Schwierigkeiten bis zur Ermordung auf sich nahmen.

Es ist eine – wenn auch vielleicht schmerzliche – Tatsache, dass Gott und Jesus es zuließen, dass über drei Jahrhunderte selbst der aufrichtigste Nachfolger Jesu in 1. Johannes 5 nur einen verfälschten Text der Bibel zur Verfügung hatte.

Und bedenken wir, dass es hier nicht um eine Nebensächlichkeitj geht, sondern die zentrale Lehre über den Vater, Sohn und heiligen Geist. Über diese Fragen wurde in den ersten Jahrhunderten der Christi lange und heftige Diskussionen geführt und ganze Glaubensgemeinschaften exkommuniziert, verfolgt und getötet.

Die Behauptung, dass der komplette Text der Bibel von Gott und Jesus so behütet wurde, dass alles so wie ursprünglich gewollt überliefert wurde, oder zumindest nur unwesentliches verfälscht wurde, ist schon mit diesem einen Beispiel als haltlos zurückzuweisen. Behauptet jemand, dass die Bibel selbst diese Aussage macht, schadet er der Bibel, obwohl es eine menschliche Aussage ist.

Durch die Funde und Verfügbarkeit immer weiterer alter Manuskripte in Griechisch, Aramäisch, Latein und anderen Sprachen sind noch viele weitere verfälschte Schrifttexte zu Tage getreten (siehe diese Foren-Artikel). Dabei zeigt sich, dass die Situation nicht einfach ist. Es ist keine simple ‘wahr oder falsch‘–Entscheidung. Vielmehr geht es darum, wie sehr wir manchen Texten vertrauen können – oder eben auch nicht. Insgesamt ein spannendes Thema, das einen eigenen Artikel verdient. Andererseits sind Abweichungen ja nicht für die Mehrheit der Texte nachgewiesen. Auf das Thema ‚Manuskripte‘ kommen wir aber später noch zu sprechen.

Dass also Jesus nicht dafür gesorgt hat, dass der biblische Text ohne Fehler oder Fälschungen erhalten wurde, müssen wir bei unserer Sichtweise des Kanons berücksichtigen. Nicht nur, wenn es um die Verlässlichkeit eines einzelnen Verses geht. Sondern auch, wenn es um unsere Sichtweise bezüglich des Kanons geht – der Bibel, wie wir sie heute haben. Stülpen wir der Bibel keine überzogenen Behauptungen über, welche sie selbst so gar nicht aufstellt.

Das ist auch wegen dem Gedanken so wichtig, mit dem der erste Teil dieser Serie begonnen hatte: Bauen wir unseren Glauben auf unseren eigenen, liebgewordenen Vorstellungen – oder immer noch vorhandenen, indoktrinierten Lehren – auf, bauen wir auf Sand. Kommt ein ’Regensturm’ in Form von Gegenargumenten und Fakten, erleidet unser Glaubensgebäude Schaden. Davor wird uns auch der heilige Geist nicht bewahren, denn der muss ja auch auf unseren Verstand einwirken. Mit den richtigen Annahmen müssen wir auch vor neuen Fakten keine Angst haben. Fakten gefährden das Glaubensgebäude nicht, sondern führen zu einem Fundament wie aus Fels.


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