Von Christian
Während Jehovas Zeugen in der Mitte des 20. Jahrhunderts vor Gerichte zogen, wenn es um die Ausübung des Predigtwerkes oder den Fahnengruss an Schulen ging, sind die juristischen Verfahren in der jüngeren Vergangenheit von anderer Art. Damals wie heute wurde gerne Philipper 1:7 zitiert, z.B. im Buch Jehovas Zeugen – Verkündiger des Königreiches Gottes, Kapitel 30 ‘Verteidigung und gesetzliche Befestigung der guten Botschaft’, S. 678:
„Es ist nur richtig, dass ich so über euch alle denke. Ich habe euch schließlich im Herzen, euch, die ihr mit mir an der unverdienten Güte teilhabt – sowohl in meinen Fesseln als auch bei der Verteidigung und gesetzlichen Befestigung der guten Botschaft“ (Philipper 1:7 Neue-Welt-Übersetzung 2018)
Die Wiedergabe in der Neuen-Welt-Übersetzung weicht von der Übersetzung in der Elberfelder Übersetzung wie auch anderen Übersetzungen ab:
„So ist es für mich recht, dass ich dies im Blick auf euch alle denke, weil ich euch im Herzen habe und sowohl in meinen Fesseln als auch in der Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums ihr alle meine Mitteilhaber der Gnade seid.“ (Philipper 1:7 Elberfelder Bibel)
Auch hier wurde also eine sehr spezielle Übersetzung gewählt, welche die Vorgehensweise der Zeugen Jehovas rechtfertigen soll. Mehr Details dazu sind in diesem Artikel zu finden. Hier soll das Zitat aus dem Wachtturm von 1950 15.12. S. 378 genügen: „Der Leser mag sich wundern, warum das griechische Wort (be·bai’o·sis) hier wiedergegeben wird mit „gesetzliche Befestigung“.“ Inder Tat, das tut er. Der Text liefert also nicht die Grundlage, nach belieben vor Gericht zu ziehen, selbst nicht für „die gute Botschaft“. Und man sollte nicht übersehen, dass Paulus hier von „Verteidigung“ des Evangelium sprach. Nicht vom Angriff und nicht von sich selbst. Was Jesus und die Apostel zum Thema ‚Beilegen von Streitigkeiten‘ sagten, wird am Ende dieses Beitrags behandelt.
In den vergangenen Jahren sehen sich Jehovas Zeugen allerdings in verschiedenen Ländern immer häufiger vor Gericht, weil sie Fälle von Kindesmißbrauch nicht gemeldet und die Täter gedeckt haben oder Personen meiden, welche einfach nicht mehr Teil der Glaubensgemeinschaft sein wollen. In diesem Video wird die Untersuchung in Australien angesprochen.
Seit kurzem müssen sich auch viele Älteste der Zeugen Jehovas in den USA in Pennsylvania vor Gericht verantworten, weil sie Fälle von Kindesmißbrauch nicht gemeldet haben, und einige sind auch schon verurteilt worden (siehe https://jz.help/fuenf-mitglieder-der-zeugen-jehovas-in-pennsylvania-wegen-sexuellen-kindesmissbrauchs-angeklagt/).
Im diesem Video wird am Ende auch über den Fall in Australien gesprochen. Vor allem geht es aber darum, welche Entscheidung die Regierung Norwegens in Bezug auf die staatliche, finanzielle Förderung der Zeugen Jehovas getroffen hat und wie Jehovas Zeugen in Norwegen nun gegen die Entscheidung der Regierung vorgehen.
Hier geht es also gar nicht mehr darum, das Evangelium zu verteidigen, sondern Jehovas Zeugen werden ganz im Gegenteil deswegen angeklagt, weil sie sich nicht an staatliche Gesetze und Vorgaben halten – und tatsächlich sogar gegen das Evangelium selbst verstoßen.
Darüber hinaus geht die Organisation der Jehovas Zeugen leider aber auch selbst juristisch gegen diejenigen vor, welche selbst Opfer von Mißbrauch oder Meidung waren oder diese vertreten. So zum Beispiel in Spanien:
Selbst wer sich vor allem mit den Lehren der Zeugen Jehovas und deren Folgen auseinandersetzt, kann sich in Deutschland mit juristischen Aktionen der Rechtsanwälte der Organisation der Zeugen Jehovas konfrontiert sehen. (siehe https://jz.help/zeugen-jehovas-klagen-gegen-vereinsmitglieder-von-jz-help/). Dabei wird gerne auch das Markenrecht verwendet, also die Rechte am Namen ‚Zeugen Jehovas‘ und allen erdenklichen Abkürzungen davon (siehe https://jz.help/gericht-urteilt-gegen-jehovas-zeugen-kdoer-im-markenrechtsstreit-mit-jz-help/).
Vor kurzem erhielt auch Martin Peth deswegen eine Unterlassungserklärung der Zeugen Jehovas in Deutschland. Mehr dazu erklärt er in diesen beiden Videos:
So versteht man, dass die Organisation der Zeugen Jehovas einen immer größer werdenden Bedarf an Juristen hat. Dazu passt, dass in einem Brief der Leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas (‚Bekanntmachungen und Hinweise‘ August 2021, Teil nur für Älteste) dazu aufgefordert wurde, Jehovas Zeugen mit Ausbildung im juristischen Bereich anzusprechen und zur Mitarbeit mit den Rechtsanwälten in den Zweigbüros aufzufordern:
„10. Erfahrene Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsfachangestellte benötigt: Geistig befähigte, zugelassene Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsfachangestellte tragen wesentlich dazu bei, die Aufgaben im Bethel zu erledigen (Phil. 1:7). Es besteht ein besonderer Bedarf an Personen, die Erfahrung in Verbindung mit Gerichtsverfahren, Unternehmensangelegenheiten, Datenschutz, Immobilientransaktionen oder Steuerrecht haben. Erfahrene Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsfachangestellte, die über außergewöhnliche Kompetenz in den Bereichen Analyse, Recherche und dem Verfassen von Schriftsätzen verfügen, tragen zur ordnungsgemäßen Bearbeitung von Rechtsangelegenheiten bei und sparen Kosten, die sonst anfallen würden. (In einigen Ländern gehören dazu auch Notare, die als spezialisierte Juristen Befugnis haben, in bestimmten Rechtsangelegenheiten zu handeln.)
11. Kennt ihr vorbildliche Verkündiger, die über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen und vielleicht die Möglichkeit haben, bei Aufgaben im Bethel auf Teilzeit- oder Vollzeitbasis zu helfen, ermuntert sie bitte, eine Bewerbung als Helfer (A-19) zusammen mit einem Lebens- lauf einzureichen (sfl Kap. 22 Abs. 29-31). Helft ihnen zu verstehen, dass es ein Vorrecht ist und viel Freude und Genugtuung bringt, seine Fähigkeiten zur Förderung der König- reichsinteressen einzusetzen. Wir vertrauen darauf, dass ihr Verkündiger in dieser Angele- genheit mit Umsicht ansprecht. Beachtet bitte, dass wir niemanden dazu ermuntern, eine höhere Bildung oder einen Universitätsabschluss anzustreben, um spezielle Fähigkeiten zu erwerben. Vielmehr sind wir an Personen interessiert, die bereits über diese Fähigkeiten verfügen und bereit sind, bei den Tätigkeiten im Bethel zu helfen (w13 15. 10. S. 15, 16 Abs. 13, 14).“ (S-147-21.08-X Bekanntmachungen und Hinweise, August 2021)
Interessant ist, für welche Bereiche hier Juristen gesucht werden: „Gerichtsverfahren, Unternehmensangelegenheiten, Datenschutz, Immobilientransaktionen oder Steuerrecht“.
Wird ein solches Vorgehen der Rechtsanwälte der Organisation der Zeugen Jehovas durch Texte wie Philipper 1:7 gedeckt? Selbst mit der Neuen-Welt-Übersetzung dürfte es schwer sein, dies zu bejahen.
Vermutlich nur, wenn man den Gedanken der ‚theokratischen Kiregsführung‘ verinnerlicht hat. Die Online-Bibliothek der Zeugen Jehovas gibt zu diesem Stichwort 14 Treffer zurück:
„Es ist eine geistige Kriegführung, zu der wir geheiligt sind. Wir sind in ein geistliches Heer, das einen theokratischen Krieg führt, eingereiht, und unser Befehlshaber ist der Sohn Gottes, Jesus Christus.
Die Kriegführung der beiden Gruppen dieser einen Herde ist die eine Kriegführung, die geistige, theokratische, heilige. Für diese Kriegführung sind beide geheiligt worden, denn beide haben auf die Stimme des Rechten Hirten, Christi Jesu, des größeren David, gehört, und beide haben sich dann Jehova Gott hingegeben, um treu in den Fußstapfen des Hirten zu folgen.“ (w55 15.1. S.56 Der christliche Krieger)„(37) … Da die unchristlichen „Wölfe“ den „Schafen“ den Krieg erklären und ‚tatsächlich wider Gott streiten‘ wollen, ist es angebracht, daß die harmlosen „Schafe“ im Interesse des Werkes Gottes gegenüber den „Wölfen“ Kriegslist anwenden. Niemand, gegen den diese Strategie angewandt wird, wird dadurch ungerechterweise verletzt, während dagegen die „Schafe“ geschützt, das heißt die Interessen, die den Schutz verdienen, gewahrt werden. Gott verpflichtet uns nicht, die Dummheit der Schafe an den Tag zu legen und unserem kämpfenden Feind in die Hand zu arbeiten.
(38) Es ist angebracht, die Vorkehrungen, die wir für das uns von Gott aufgetragene Werk treffen, zu verdecken. Wenn die wölfischen Feinde falsche Schlußfolgerungen aus unseren Überlistungsmanövern ziehen, wird ihnen doch durch die harmlosen Schafe, die in ihren Beweggründen so arglos wie Tauben sind, kein Leid angetan. Ihr Vorgehen entspringt nicht dem Hasse eines Lügners. „Wer Haß in sich verbirgt, hat Lügenlippen, und wer üble Nachrede verbreitet, ist ein Tor. Eine Lügenzunge haßt die von ihr Vernichteten [Verwundeten].“ — Spr. 10:18; 26:28, Me.
(45) Wir dürfen nicht wider Gottes Wort lügen, indem wir ihm etwas beifügen oder etwas davon wegnehmen oder etwas in dieses Wort hineinlesen, was es nicht sagt oder was es verneint, indem wir über etwas hinweggehen oder etwas wegerklären, was es wahrheitsgemäß sagt. „Alle Rede Gottes ist geläutert . . . Tue nichts zu seinen Worten hinzu, damit er dich nicht überführe, und du als Lügner erfunden werdest.“ (Spr. 30:5, 6) Wir dürfen nicht Unwahrheiten in seinem Namen sagen, denn dadurch würde Gott der Anschein eines Lügners gegeben. „Gott werde als wahrhaftig erkannt, wenn auch jeder Mensch als Lügner erkannt würde.“ (Röm. 3:4, NW)“ (w56 15.4. S. 246 Vorsichtig wie Schlangen unter Wölfen)„EINE Zeugin Jehovas ging in Ostdeutschland von Haus zu Haus und stieß auf einen heftigen Gegner. Da sie sogleich wußte, was nun zu erwarten war, zog sie im nächsten Hausflur ihre rote Bluse aus und legte dafür eine grüne an. Kaum auf die Straße getreten, fragte ein kommunistischer Beamter, ob sie nicht eine Frau in einer roten Bluse gesehen habe. „Nein“, erwiderte sie und zog ihres Weges. War dies eine Lüge? Nein, sie log nicht; sie war keine Lügnerin. Vielmehr wandte sie theokratische Kriegslist an, indem sie die Wahrheit um des Predigtdienstes willen durch Wort und Tat verbarg.
Hierfür hatte sie ein gutes biblisches Vorbild. …
Vielleicht fragt sich jemand, wo denn die Grenze zwischen theokratischer Kriegslist, durch die ein Tatbestand verborgen gehalten wird, und dem Aussprechen von Lügen gezogen werden soll.“ (w57 1.7. S. 413 Wende theokratische Kriegslist an)„Fragen von Lesern: Von Zeit zu Zeit erhalten wir Briefe, in denen wir gefragt werden, ob gewisse Umstände es rechtfertigen könnten, daß ein Christ in bezug auf seine Pflicht, stets die Wahrheit zu sagen, eine Ausnahme machen würde. In Beantwortung dieser Frage sei folgendes gesagt:
…
Eine Ausnahme sollte der Christ jedoch stets im Sinn behalten. Als Soldat Christi nimmt er an einem theokratischen Kriegszug teil, und den Feinden Gottes gegenüber muß er größere Vorsicht walten lassen. Die Bibel zeigt deshalb, daß es zum Schutz der Interessen der Sache Gottes angebracht ist, die Wahrheit vor Feinden Gottes zu verdecken. …
Das käme unter die Bezeichnung „Kriegslist“, wie dies im Wachtturm vom 15. April 1956 erklärt wurde, und wäre in Übereinstimmung mit dem Rate Jesu, wonach wir, wenn unter Wölfen, so ‚vorsichtig sein sollten wie Schlangen‘. “ (w60 1.8. S. 479)
Das war also die Ansicht der Organisation der Zeugen Jehovas – und ist es wohl bis heute, auch wenn es nicht mehr so öffentlich geschrieben wird.
Was aber finden wir in der Bibel zu diesem Thema. Nur ein paar Texte als Anregung, sich selbst eine Meinung zu bilden:
Matthäus 5:23, 24
„Wenn du nun deine Gabe darbringst zu dem Altar und dich dort erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar und geh vorher hin, versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und bring deine Gabe dar!” (Elberfelder)
„Wenn du also deine Gabe zum Altar bringst und dich dort erinnerst, dass dein Bruder dir etwas übel nimmt, dann lass deine Gabe dort vor dem Altar und geh weg. Versöhne dich zuerst mit deinem Bruder und dann komm zurück und opfere deine Gabe.“ (Neue-Welt-Übersetzung)
Matthäus 5:25, 26
„‹Wenn jemand dich vor Gericht ziehen will›, einige dich schnell mit deinem Gegner, solange du noch mit ihm auf dem Weg dahin bist. Sonst wird er dich dem Richter ausliefern, und der wird dich dem Gerichtsdiener übergeben, und du kommst ins Gefängnis.
Ich versichere dir, du kommst erst dann wieder heraus, wenn du den letzten Cent bezahlt hast.“ (Neue Evangelistische Übersetzung)„Einige dich schnell mit deinem Prozessgegner, noch während ihr auf dem Weg zum Gericht seid, damit dein Gegner dich nicht dem Richter übergibt und der Richter dich nicht dem Gerichtsdiener übergibt und du nicht ins Gefängnis geworfen wirst. Ich versichere dir: Du kommst dort auf keinen Fall heraus, bis du deine letzte kleine Münze bezahlt hast.“ (Neue-Welt-Übersetzung)
Matthäus 18:15-17:
„Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und stell ihn unter vier Augen zur Rede. Wenn er mit sich reden lässt, hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Wenn er nicht auf dich hört, dann nimm einen oder zwei andere mit und geh noch einmal zu ihm, damit alles von zwei oder drei Zeugen bestätigt wird. Wenn er auch dann nicht hören will, bring die Angelegenheit vor die Gemeinde. Wenn er nicht einmal auf die Gemeinde hört, dann behandelt ihn wie einen Gottlosen oder Betrüger.“ (Neue Evangelistische Übersetzung)
„Und wenn dein Bruder eine Sünde begeht, dann geh und mach ihm den Fehler unter vier Augen bewusst. Hört er auf dich, dann hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Wenn er aber nicht auf dich hört, nimm noch eine oder zwei Personen mit, damit alles durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen bestätigt wird. Wenn er nicht auf sie hört, dann wende dich an die Versammlung. Und wenn er nicht einmal auf die Versammlung hört, dann soll er für dich genauso sein wie jemand aus einem anderen Volk und wie ein Steuereinnehmer.“ (Neue-Welt-Übersetzung)
Und insbesondere Römer 12:17-21:
„Vergeltet niemand Böses mit Bösem! Bemüht euch um ein vorbildliches Verhalten gegenüber jedermann! Soweit es irgend möglich ist und soweit es auf euch ankommt, lebt mit allen Menschen in Frieden! Rächt euch nicht selbst, ihr Lieben, sondern lasst Raum für den Zorn Gottes! Denn in der Schrift steht: “Es ist meine Sache, das Unrecht zu rächen, sagt der Herr, ich werde Vergeltung üben!” “Wenn dein Feind hungrig ist, gib ihm zu essen; wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken! Denn wenn du das tust, sammelst du feurige Kohlen auf seinen Kopf. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit dem Guten!“ (Neue Evangelistische Übersetzung)
„Zahlt niemandem Böses mit Bösem zurück. Seid auf das bedacht, was aus Sicht aller Menschen gut ist. Wenn möglich, haltet, soweit es von euch abhängt, mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, ihr Lieben, sondern lasst Raum für den Zorn. Denn in den Schriften steht: „‚Es ist meine Sache, Rache zu nehmen. Ich werde Vergeltung üben‘, sagt Jehova.“ Vielmehr, „wenn dein Feind hungrig ist, gib ihm etwas zu essen. Wenn er durstig ist, gib ihm etwas zu trinken. Denn wenn du das tust, sammelst du feurige Kohlen auf sein Haupt.“ Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse immer mit dem Guten.“ (Neue-Welt-Übersetzung)
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