Von Christian
Die meisten Königreichssäle der Zeugen Jehovas und viele Zeugen haben sie: Eine ‚theokratische‘ Bibliothek. Also eine Sammlung früher erschienener Bücher und Ausgaben des Wachtturms und Erwachet. Ein Buch habe ich sehr geschätzt und auch im Nachlass meiner verstorbenen Mutter wieder gefunden:

Aber eigentlich ist es ein verloren gegangenes Buch. Inwiefern? Weil leider selbst viele Zeugen Jehovas dieses 1979 erschienene Buch überhaupt nicht mehr kennen! Nun gut, es ist zwar schon älter, aber es müsste doch leicht in der Wachtturm Online-Bibliothek zu finden sein …

Also in der Liste der Bücher ist es schon einmal nicht. Aber wir kennen ja den Titel. Also suchen wir einmal im Index:

Dort finden sich mehrere Hinweise auf ein Buch mit Abkürzung cj, was unschwer als ‚Commentary James‘ zu deuten ist. Aber dort ist kein Link zu dem Buch hinterlegt. Als ich im Mai 2023 nochmals gesucht habe, erhielt ich dieses Ergebnis:

Von den 44 Ergebnissen sind allerdings bis auf 9 alles nur Königreichsdienste, die belegen, dass diese Buch im Predigtdienst verkauft wurde: 1987 für 1 DM, 1989 schon für 2 DM. Es scheint also im Wert noch gestiegen zu sein.


Lässt man die Referenzen im Index und Hinweise im Wachtturm und Erwachet auf das Buch weg, bleiben diese Ergebnisse übrig:

Kein Hinweis auf das Buch außer diesen? Und nichts aus dem Inhalt des Buches ist zu finden. Vielleicht ist ja die ‚Frage von Lesern‘ interessant:

Nichts, außer einem Artikel, der versucht, einen Satz aus dem ganzen Buch ‚geradezurücken‘. Was soll an diesem einen Satz so Besonderes sein?
Ich erinnere mich noch, wie alle Jehovas Zeugen weltweit dieses Buch im ‚Versammlungsbuchstudium‘ studiert haben. Das nächste Bild zeigt allerdings nicht mein Buch, in dem natürlich auch ich fleißig unterstrichen habe. Das Buch ist von meiner verstorbenen Mutter, die ich posthum loben kann: Auch sie hatte sich gut vorbereitet und genau die richtige Antwort auf die Frage zu Abschnitt 27 unterstrichen:

Und in der ‚Wachtturm Online-Bibliothek‘ ist nichts, außer einem Artikel, der versucht, diesen einen Satz aus dem ganzen Buch ‚geradezurücken‘. Was soll an diesem einen Satz so Besonderes sein?
„Jehova ist nicht nur der Gott der Christen, sondern auch ihr Vater, denn er hat sie durch seinen Geist als seine Söhne gezeugt.“ (Kommentar zum Jakobusbrief, S. 49)
Der weitere Text des Wachtturm-Artikels zeigt, welche Sprengkraft dieser eine, kleine Satz wohl hatte:
„Heißt das, daß alle Gott hingegebenen und getauften Christen durch Gottes heiligen Geist zu seinen Söhnen gezeugt worden sind?
Nein, das sollte nicht daraus gefolgert werden, als ob wir jetzt die Sache anders verstünden. Eine solche Änderung würde die biblische Lehre aufheben, daß es zwei verschiedene Hoffnungen für diejenigen gibt, die gerettet werden, nämlich eine himmlische und eine irdische Hoffnung.“
(w81 15.4. S. 31)
Und dort wird sogar eine winzige Änderung vorgeschlagen, welche alles ‚repariert‘ hätte:
„Um Zweideutigkeit zu vermeiden, hätte in dem betreffenden Satz auf Seite 49 des Kommentars das Wort „gesalbt“ eingefügt werden können. Dann hätte der Satz wie folgt gelautet: „Jehova ist nicht nur der Gott der gesalbten Christen, sondern auch ihr Vater, denn er hat sie durch seinen Geist als seine Söhne gezeugt.“ Die dazugehörige Frage auf Seite 57 hätte lauten können: „Wieso ist Gott für gesalbte Christen auch der Vater?““ (w81 15.4. S.31)
Zum Thema ‚gesalbte Christen‘ gehe ich in diesem Artikel ein: „Sollten wir uns Christen oder Gesalbte nennen (lassen)?“
Aber warum hat man dann nicht einfach diese winzige Änderung vorgenommen? Wie in diesem Artikel gezeigt wurde, hat man doch schon ganz andere ‚Korrekturen‘ vorgenommen.
Auch ist das alte Hesekiel-Buch von 1972 immer noch online verfügbar, direkt neben dem neuen Hesekiel-Buch von 2019.

Ist der Grund für das Verschwinden des Jakobus-Buches vielleicht, dass es zu viele Änderungen gegeben hat? Warum wurde denn das Hesekiel-Buch nach fast 50 Jahren neu geschrieben? Ich zitiere aus dem Buch von 2019:
Außerdem hat sich in den Jahrzehnten seit 1971 unser Verständnis der Bibel sehr verbessert, weil das Licht immer heller geworden ist (Spr. 4:18). Ab 1985 verstanden wir klarer, wie die „anderen Schafe“ als Freunde Gottes für gerecht erklärt werden (Joh. 10:16; Röm. 5:18; Jak. 2:23). 1995 erkannten wir, dass das endgültige Urteil, wer zu den „Schafen“ und wer zu den „Ziegen“ gehört, erst während der kommenden „großen Drangsal“ gefällt wird (Mat. 24:21; 25:31, 32). All das hat sich auf das Verständnis des Bibelbuches Hesekiel ausgewirkt.
Hesekiel-Buch 2019, Die reine Anbetung Jehovas – endlich wiederhergestellt! S.2 Kapitel „Brief der leitenden Körperschaft“
In den letzten Jahren ist das Licht noch heller geworden. Denken wir nur an die Vergleiche Jesu. Vieles, was er damit vermitteln wollte, verstehen wir jetzt besser und es geht uns noch mehr zu Herzen. Einige seiner Gleichnisse beziehen sich auf Ereignisse in der großen Drangsal, die immer näher kommt. Auch unser Verständnis etlicher Prophezeiungen aus dem Bibelbuch Hesekiel ist klarer geworden. Dazu gehören die Prophezeiungen über Gog von Magog (Kapitel 38 und 39), den Mann mit dem Tintenfass (Kapitel 9), über das Tal der vertrockneten Knochen und das Zusammenfügen der beiden Stäbe (Kapitel 37). Durch all das sind die Erklärungen, die vor Jahren im alten Hesekiel-Buch gegeben wurden, inzwischen überholt.
Wer beide Bücher vergleicht, fragt sich unwillkürlich, was den vom alten Buch übrig geblieben ist. Also hatte die Leitende Körperschaft entschlossen, eine neue Interpretation des Bibelbuch Hesekiel schreiben zu lassen.
Warum wurde das nicht auch mit dem Jakobus-Buch so gemacht? Ich kann mich eigentlich an nichts aus dem Buch erinnern, was durch ‚neues Licht‘ sich geändert hätte.
Der Grund liegt ganz woanders. Wer nach Edward Dunlap in der Wachtturm-Bibliothek sucht, wird ihn noch immer finden. Aus den Quellen der Zeugen Jehovas geht immer noch hervor, dass er wichtige Funktionen in der Organisation der Zeugen Jehovas hatte:

Ich kann mich erinnern, dass ich früher einmal sogar noch mehr über ihn dort gefunden hatte. Er war über 10 Jahre Registrator der Gilead-Schule und hat Vorträge auf deren Abschlußfeiern gehalten. Was man nicht findet, ist, dass er der Autor des Buches Kommentar zum Jakobusbrief war. Das findet sich in Raymound Franz Buch Der Gewissenskonflikt. Und dort findet man auch den Grund für alles: Um 1980 herum wurde er mit anderen auf unglaublich unchristliche Weise als ‚Abtrünniger‘ gebrandmarkt und ausgeschlossen. Und jede Erinnernung an ihn sollte wohl ausgelöscht werden. So ähnlich wie das jetzt mit Anthony Morris III auf den Websiten der Zeugen Jehovas geschieht, seit er kein Mitglied der Leitenden Körperschaft mehr ist. Aber das ist ein anderes Thema.
Warum man das Buch dann auch aus der Online-Bibliothek verbannt, ist allerdings schwer nachvollziehbar. Denn bevor so ein Buch von Jehovas Zeugen auf einem Kongress in großer Zahl veröffentlich wird und später auch im Versammlungsbuchstudium studiert wird, muss es doch von sehr, sehr vielen korrekturgelesen worden sein. Auch von der leitenden Körperschaft und deren Komitees. Und mit der Veröffentlichung durch die Leitende Körperschaft war es doch das ‚neue Licht‘ der ‚aktuellen Wahrheit‘. Oder etwa doch nicht? Entweder ist der Inhalt korrekt, oder nicht. Sonst hätte die Leitende Körperschaft ja aktiv falsche Lehren als ‚geistige Speise‘ verteilt.
Vielleicht gibt es ja noch das eine oder andere Exemplar in den Königreichssälen der Zeugen Jehovas oder privaten Bibliotheken. Für alle, die Englisch können ist es einfacher: Die englische Ausgabe des Buches kann man immer noch bei watchtowerwayback.org herunterladen.
Eine Antwort zu “Die Leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas lässt ein Buch verschwinden – Teil 1”
[…] ersten Teil (Text, Video) haben wir gesehen, wie die Leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas das Buch Kommentar […]
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